03.06.2020
USA: Brände löscht man nicht mit Öl
Ohne ein Wort zur Entspannung der Lage posierte US-Präsident Donald Trump vor der geschichtsträchtigen St.-Johns-Kirche. Eine vertane Chance, meint Uwe Heimowski.
Uwe Heimowski ist der Politik-Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz. Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Christlichen Medieninitiative pro, die auch das Christliche Medienmagazin pro herausgibt.
© Foto: The White House
(Pro) Eigentlich war geschlossen, aber nach einem kurzen, freundlichen Schwatz ließ die – schwarze – Reinigungskraft uns für einen Moment herein. Mein Sohn spielte ein paar Takte auf dem Klavier, das hinten im Saal stand, ich ließ es mir nicht nehmen, auf die Kanzel zu steigen. Und da waren wir auch schon wieder draußen und bewunderten die kleine Tafel, auf der vermerkt war, dass Abraham Lincoln hier gelegentlich gebetet hat. Die St. Johns-Church in Washington DC.
Abraham Lincoln, Republikaner, von 1861 bis 1865 der 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Lincoln, der Bürgerkriegspräsident, der die Sklaven befreite. Lincoln, auf dessen Bibel Barack Obama seinen Amtseid geschworen hat. Ein leichter Schauer von Demut läuft uns über den Rücken.
Nun sehen wir Bilder in den Nachrichten, die wie die Vorboten eines erneuten Bürgerkriegs in den USA wirken. Wütende, aber friedliche Bürger, die mit lautstarken Protesten ihre Stimme gegen den alltäglichen Rassismus erheben. Der Tod des Afroamerikaner George Floyd, der brutal von Polizisten umgebracht wurde, hat sie auf die Straße getrieben.
Flammen schlugen aus dem Gotteshaus
Unter die friedlichen Demonstranten mischen sich Plünderer, die die Proteste für ihre Zwecke ausnutzen. Blindlings schlagen sie Schaufenster ein, brandschatzen und stecken Autos an.
Auch vor der St. Johns-Church machen sie nicht Halt. Flammen schlagen aus dem Gotteshaus, gewalttägige Aktivisten haben es in Brand gesteckt. Die Lage droht zu eskalieren. Wieder und wieder mahnen Stimmen zur Besonnenheit. Sogar George Floyds Bruder meldet sich zu Wort und fordert dazu auf, die Gewalt zu beenden.
Im Weißen Haus dagegen irrlichtert Donald Trump, wirft alle Proteste in einen Topf, droht mit der Nationalgarde und lässt friedliche Demonstranten mit Tränengas beschießen.
Und dann, plötzlich und unangekündigt, steht der 45. Präsident der USA mit einer Bibel in der Hand vor der St. Johns-Church. Ikonographisch inszeniert blickt er grimmig entschlossen in die Kameras. Ohne einen Kommentar. Vor der Kirche Abraham Lincolns.
Mariann Edgar Budde, die Bischöfin der Episcopal Diocese of Washington, zu der die St. Johns-Church gehört, sieht sich genötigt, ein Statement abzugeben. Der Präsident habe sie nicht informiert, und sie verbitte sich ausdrücklich, dass er die Symbole ihrer Kirche für seine Politik missbrauche.
Franklin Graham ist begeistert
Andere sind begeistert von Trumps Aktion. Sie sehen ein deutliches christliches Bekenntnis. Der bekannte Evangelist Franklin Graham teilt auf Facebook ein Foto des Präsidenten, das über 300.000 Mal gelikt und fast 54.000 Mal geteilt wird. Er kommentiert: „Thank you President Trump. God and His Word are the only hope for our nation.“ (Danke, Präsident Trump. Gott und Sein Wort sind die einzige Hoffnung für unsere Nation.).
Eines habe ich gelernt bei meinen Besuchen in den Vereinigten Staaten: Amerikaner ticken anders als wir. Wer sie verstehen will, muss vor allen Dingen bereit sein, sich kein vorschnelles Urteil zu bilden. Sich aus der Ferne auf eine Seite zu schlagen, kann ziemlich billig sein. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und auch Antisemitismus treiben vor unserer eigenen Haustür Blüten. Zivilcourage ist mehr, als ein schwarzes Foto auf Instagram zu teilen.
Und doch, gerade weil ich die Gänsehaut gespürt habe, an diesem Ort, an dem Abraham Lincoln gebetet hat: Wenn es brennt, muss man löschen, nicht Öl ins Feuer gießen.
Dass Donald Trump ohne ein Wort zur Entspannung der Lage mit der Bibel vor St. Johns-Church posiert, ist eines Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht würdig. Man stelle sich vor, er hätte seine Knie gebeugt, wie es landauf landab Polizisten und Verantwortungsträger tun, um sich mit den Protesten gegen Gewalt und Rassismus zu solidarisieren und um die Opfer zu ehren. Trumps Foto wäre um die Welt gegangen wie damals Willi Brandts Kniefall in Warschau.