31.12.2021

Wenn Hass und Hetze zunehmen, ist Zuschauen keine Option

Ein Beitrag von Uwe Heimowski

Jesus hat uns aufgerufen, Frieden zu stiften

Während ich beginne, diesen Artikel zu schreiben, tickert eine Nachricht über meine Nachrichten-App: Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller und mindestens zwölf weitere Empfänger, darunter Abgeordnete des Deutschen Bundestages, haben Drohbriefe bekommen. Darin enthalten ist ein in Alufolie eingewickeltes Stück Fleisch, versehen mit der Ankündigung: "Der Widerstand gegen die Impfung und die Maßnahmen wird blutig und unappetitlich." Am gleichen Tag finden in Sachsen Hausdurchsuchungen statt, bei der Armbrüste, Waffen und Waffenteile gefunden werden. Auslöser waren Morddrohungen gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer, die auf dem Messenger Dienst Telegram verbreitet wurden.

Später am Tag bin ich mit einem Bundestagsabgeordneten verabredet. Um die 60, männlich, weiß, CDU-Mitglied. Wie erlebt er die Situation? Haben Hass und Wutkommentare zugenommen? „Ganz klar, keine Frage. Was vor allem auf sozialen Medien verbreitet wird, hat eine Dimension angenommen, die wir nicht kannten. Aber auch auf vielen der Querdenker Demonstrationen sehen wir, wie die Gewalt eskaliert - und, ja, wir erleben es leider auch im Bundestag. Wenn aus einer Fraktion unbewiesene Vorwürfe wie Rechtsbruch und persönliche Diffamierungen und Beleidigungen an der Tagesordnung sind, dann hat das mit sachlicher und kritischer politischer Debatte nichts mehr zu tun.“ Er reibt sich das Kinn. „Aber seien wir ehrlich, was wir `alten weißen Männer´ abbekommen, ist doch nur die Spitze des Eisbergs. Meine Kollegin Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen bekommt täglich Emails und Briefe mit Hassbotschaften, von den jungen Frauen mit Migrationshintergrund ganz zu schweigen.“

Die Gründe für diese Radikalisierung sind vielfältig. Eine gründliche Aufarbeitung und Ursachenforschung sind dringend geboten. Hier nur einige Stichworte:

Viele Menschen spüren eine gewisse Ohnmacht. Aktuell gegenüber der Pandemie, zuvor gegenüber der Globalisierung, den Migrationsströmen, den rasanten kulturellen Veränderungen. Manche fühlen sich als Opfer von staatlichem Zwang und meinen es wäre legitim, sich dagegen – auch mit Gewalt – zu wehren.

Etliche sind politisch heimatlos geworden, sie fühlen sich mit ihren Anliegen von der Politik nicht mehr vertreten. Die einen beklagen den Verlust traditioneller Werte etwa in der CDU, den anderen gehen die Maßnahmen gegen Ungerechtigkeit oder den Klimawandel im links-grünen Spektrum nicht weit genug. Diese Heimatlosigkeit macht anfällig für einfache Versprechungen und geschlossene Gruppen.

Womit wir bei einem zweiten Punkt wären: Die „bubble“. Menschen leben immer stärker in ihren eigenen Blasen. Befördert durch die Algorithmen und die Anonymität des Internets und der sozialen Medien, werden vor allem Meinungen und Informationen wahrgenommen, die die eigene Sicht bestärken - und verschärfen. Ein Bekannter, der anfangs eine Reihe berechtigter Anfragen an die Corona Maßnahmen der der Regierung gestellt hat, schickt mir mittlerweile Sätze wie diesen: „Die Impfpflicht wird zu einer noch nie dagewesenen Form von Widerstand führen. Im Zenit der Auseinandersetzung werden gewaltbereite Widerstandskämpfer sterben.“ Das ist haarscharf an der Grenze zur Strafbarkeit.

Ein weiteres Problem ist das Opfernarrativ. Menschen nehmen sich selbst als Opfer wahr. Wir kennen die Bilder von Impfgegnern, die Judensterne tragen. Das Gefühl ein Opfer zu sein, ist einerseits lähmend. Opfer gestalten die Demokratie nicht aktiv mit. Andererseits führt es zur Wut gegen den (vermeintlichen) Aggressor: „Die da oben“ in den „Altparteien“. Theologisch wird das Opfernarrativ nicht selten mit Endzeit- und Verfolgungsszenarien untermauert.

Halten wir fest: Hass und Hetze (nicht nur) gegen Politiker nehmen zu. Die Gründe sind vielfältig, einige habe ich angesprochen. Nun bleibt die Frage: Was kann man dagegen machen?

Von Seiten des Staates muss alles getan werden, um das Vertrauen in die Institutionen wieder herzustellen. Dazu gehört, politische Entscheidungen gut zu erklären und maximale Transparenz zu schaffen sowie Möglichkeiten zu demokratischer Beteiligung der Zivilgesellschaft, auch der Kirchen, zu stärken. Zugleich muss der Rechtsstaat zeigen, dass er handlungsfähig ist, und Straftatbestände konsequent verfolgen und ahnden.

Und was können wir tun? Als Christen muss unsere klare Botschaft sein: Wir verurteilen jede Form Hass und Hetze, in Wort und Tat. Sie sind niemals akzeptabel, und für Christen schon gar nicht. Jesus hat uns aufgerufen, Frieden zu stiften.

Dazu gehört, dass wir Menschen segnen und für sie beten: Wer segnet, der kann nicht gleichzeitig hassen. Und es gehört dazu, dass wir Menschen „in ihrer Blase“ nicht alleine lassen. Die inhaltliche Abgrenzung muss nicht zu einem Abbruch von Freundschaften führen. Auch wenn es mitunter sinnlos erscheint: Wir geben Menschen nicht auf. Auch theologisch nicht. Beziehen wir die Unzufriedenen und Heimatlosen mit ein, wo immer es geht. Wer etwas zu tun hat, hat keine Zeit für Hasskommentare. Christian Führer, 1989 Pfarrer in der Leipziger Nicolaikirche sagte einmal (sinngemäß) über die Friedensgebete, aus denen die Montagsdemonstrationen entsprangen: Wir haben den Menschen ein Liedblatt und eine Kerze mitgegeben, da hatten sie keine Hand frei, um Steine zu werfen.

Uwe Heimowski

Politischer Beauftragter der Evangelischen Allianz am Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung